Teamwork und Problemlösung im digitalen Raum: Innovative Ansätze an der Ruhruniversität Bochum
Escape Games sind längst nicht mehr nur eine Freizeitbeschäftigung, bei der Gruppen versuchen, aus einem verschlossenen Raum zu entkommen oder verzwickte Rätsel zu lösen. Mittlerweile haben sie sich als innovatives Lernwerkzeug in Schulen und Universitäten etabliert. Besonders digitale und Virtual-Reality-basierte Escape Games bieten Lehrenden und Lernenden eine spannende Möglichkeit, um Wissen zu vermitteln und gleichzeitig soziale und analytische Kompetenzen zu fördern.
Die Ruhr-Universität Bochum setzt diesen Ansatz aktiv um und bietet Einblicke in die Potenziale, aber auch Herausforderungen solcher Lernformate. In dem Online-Format Gesprächsforum digitales Lernen sind zum Thema „Ready to play? Mit Escape Games gemeinsam zum (Lern)Ziel“ mehr als 20 wissenschaftliche Mitarbeitende mehrerer Universitäten, Masteranden, Studenten und Interessierte zugeschaltet. Jeder Interessierte kann sich über die Webseite zu den Gesprächsrunden und Vorträgen anmelden. Diese finden in deutscher Sprache über Zoom statt.
Mit Escape Games Bildung erlebbar machen
Im digitalen Zeitalter reichen klassische Lehrmethoden oft nicht mehr aus, um Studierende und Schüler*innen für komplexe Themen zu begeistern. Hier kommen Escape Games ins Spiel. In diesen Lernspielen lösen die Teilnehmenden gemeinsam Aufgaben, die ihnen Wissen vermitteln und gleichzeitig Fähigkeiten wie Kooperation, kritisches Denken und Problemlösung stärken.
In der ersten Präsentation stellte Martina Rüter, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Bochum ihre Erfahrungen mit Escape Games als Lerninhalte vor. Sie entwickelte 2021 ein Escape Game zum Thema Urheberrecht und bat die Teilnehmenden, zwei Versionen des Spiels zu vergleichen. Die Original-Version ist diese hier. Ihre Studienergebnisse ergeben, dass ein solches Lernspiel die Inhalte spannend vermittelt und ein Vorteil der digitalen Escape Games ist, dass sie auch von zuhause (also im Fall der Schule als Hausaufgabe oder im Flipped Classroom Konzept) bearbeitet werden können. Studierende oder Schüler werden dadurch angeregt, sich spielerisch und intensiv mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Rüters Beispiel eines digitalen Education Escape Games wurde in den Diskussionsrunden kritisch hinterfragt: „Ich bin etwas enttäuscht, der Look sieht aus wie vor 20 Jahren“, „Da gibt es aber schon viel coolere, modernere Tools mittlerweile“ oder „Die Verknüpfung der Story mit den Lerninhalten ist relevant, damit sich die Lernenden nicht einfach nur fix durchklicken“, lautete das Feedback einiger Teilnehmer.
Tools für digitale Escape Games in Schule und Seminar: Ein Guide für Lehrkräfte
Rüters‘ Erfahrung deckt sich mit denen der kommerziellen Escape Game-Entwickler: Sich in die Materie einzuarbeiten, einen spannenden, logischen, sequenziellen Spielaufbau zu konstruieren, die Gestaltung der eingesetzten Medien und dazu passende Rätsel zu erarbeiten, braucht viel Zeit und KnowHow. Die Königsklasse der Spielentwicklung besteht dann darin, die Rätsel, Medien und Lerninhalte in eine glaubhafte, spannende Story einzubetten. Sie schreibt in ihrem Blog über virtuelle Anwendungen für Lehre und Bildung.
Beispiel 1: Augmented Reality-Spiel, um Fake-News zu entlarven
Ein gutes Beispiel für einen praxisnahen Lerneffekt ist die AR-App „Escape Fake“, die Schülerinnen und Schülern hilft, sich kritisch mit Medieninhalten auseinanderzusetzen. In dem Spiel durchforsten die Lernenden eine virtuelle Welt und lösen gemeinsam Rätsel, um Fake News aufzudecken. Dabei lernen sie spielerisch, Nachrichtenquellen zu hinterfragen und digitale Inhalte kritisch zu bewerten – eine Kernkompetenz im digitalen Zeitalter. Durch das gemeinsame Lösen der Aufgaben werden die Schüler in ihrer Medienkompetenz geschult und auf die Informationsflut in sozialen Medien vorbereitet.
Beispiel 2: „Stopp den Virus“ – Interaktive Gesundheitsaufklärung
Ein weiteres Beispiel für die erfolgreiche Nutzung digitaler Escape Games im Bildungsbereich ist das Spiel „Stopp den Virus“. Dieses Spiel wurde mit Genial.ly entwickelt und vermittelt Gesundheitswissen auf spielerische Weise. Die Schüler*innen arbeiten in Teams oder alleine daran, einen „Virusausbruch“ zu stoppen, indem sie Fragen im beantworten und gemeinsam Lösungsmöglichkeiten erarbeiten.
Beispiel 3: Ruhr-Universität Bochum: Teamarbeit und Kompetenzmodelle
Escape Games in der Lehre: Teamarbeit und Kompetenzmodell in Zusammenarbeit mit kommerziellem Anbieter
Die zweite Präsentation im Gesprächsforum Digital hält Immanuel Lutzeyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Arbeit, Personal und Führung. Er berichtet begeistert von den Aktivitäten der Ruhr-Universität Bochum. Dort nutzen Wissenschaftler Escape Games gezielt zur Teamentwicklung, unterstützt durch die Expertise von Think² (Think Square) aus Bochum, einem kommerziellen Escape Game-Anbieter. Gemeinsam erarbeiten sie komplexe Szenarien, die auf einem Kompetenzmodell basieren. Dieses Modell umfasst vier Schlüsselkompetenzen, die Lernende in den Spielen vertiefen: Kooperation, Kombination, Selbstreflexion und Umgang mit Komplexität. Diese Fähigkeiten seien essenziell für effektives Teamwork und wurden in mittlerweile vier Live Escape Räumen auf dem Unigelände gezielt integriert.
Die Entwicklung eines solchen wissenschaftlich fundierten Escape Rooms dauert in der Regel rund ein Jahr und verläuft iterativ: Die Studierenden durchlaufen zahlreiche Testphasen, in denen Rätsel und Handlungsstränge immer wieder angepasst und weiterentwickelt werden, bis alle Details sitzen. Um die Auswirkungen auf die Kompetenzentwicklung zu analysieren, wird das Spiel aus verschiedenen Perspektiven gefilmt. Vor Spielbeginn und nach Abschluss füllen die Teilnehmenden Fragebögen aus, in denen sie ihre Selbstwirksamkeit und Erwartungen beschreiben. Die gesammelten Daten helfen dabei, herauszufinden, welche Kompetenzen besonders zum Erfolg beitragen und wie sich die Teamdynamik während des Spiels entwickelt.
Dieser wissenschaftlich fundierte Ansatz zeigt, dass Escape Games mehr als ein Abenteuer sind – sie können als gezieltes Lerninstrument eingesetzt werden, das soziale und kognitive Kompetenzen auf spielerische Weise fördert.
Im Masterseminar der Ruhr-Universität Bochum setzt Immanuel Lutzeyer digitale Escape Games ein, um Studierende auf Herausforderungen in der Teamarbeit vorzubereiten. „Teams, die im Seminar engagiert mitgearbeitet haben, scheitern manchmal an den Escape-Room-Aufgaben, weil sie Konflikte nicht lösen können,“ reflektiert Immanuel Lutzeyer. Das Spielkonzept zwingt die Teilnehmenden zur Zusammenarbeit und zeigt, dass Fachwissen allein oft nicht reicht – Teamarbeit und Konfliktlösung sind entscheidend.
Vorteile von Escape Games im Bildungskontext
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- Förderung von Teamarbeit und Kommunikation: In einem Escape Game kommt es auf die Zusammenarbeit an. Nur wer gut kommuniziert und Informationen teilt, hat die Chance, die Herausforderungen zu meistern. „Es überrascht, wie Teams, die man im Seminar stark eingeschätzt hat, im Spiel scheitern, wenn sie ihre Konflikte nicht lösen können,“ so Lutzeyer.
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- Stärkung analytischer und kreativer Problemlösungskompetenzen: Escape Games fordern logisches Denken, Problemlösung und Kreativität – Kompetenzen, die besonders in der heutigen Arbeitswelt gefragt sind. Ha My Truong, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Paderborn, berichtet von ihrem Seminar, in dem Studierende Edu-Escape Games entwickelten und erklärt: „Die Studenten erhalten 3 Wochen, um ein analoges Escape Game bzw. Edu-Breakouts zu erstellen, in dem Wissen vermittelt wird. Die Aufgaben werden gut aufgeteilt, die Studenten haben viel Spaß und die Ergebnisse sind überraschend gut.“
- Escape Games sind mehr als eine Freizeitbeschäftigung und stellen ein nützliches, innovatives, didaktisches Werkzeug dar. „In Escape Games findet aktives Lernen statt und Wissen wird direkt angewendet – ein Lerntransfer“, resümiert Immanuel Lutzeyer.
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- Praktische Anwendung von Wissen: Escape Games bieten eine effektive Möglichkeit, fachspezifisches Wissen praxisnah einzusetzen. Die Ruhr-Universität bindet gezielt Inhalte aus den Naturwissenschaften, wie Chemie und Maschinenbau, in die Escape-Games-Aufgaben ein, sodass Lernende mathematische Formeln und chemische Konzepte anwenden müssen, um voranzukommen.
Herausforderungen und Entwicklungsaufwand
So vielversprechend die Potenziale auch sind, es gibt Herausforderungen bei der Umsetzung von Escape Games im Bildungsbereich. Es brauche eine klare didaktische Zielsetzung und eine gute Vorbereitung, um die Escape Games als Lernwerkzeug erfolgreich zu implementieren. Die Wahl der passenden digitalen Tools wie H5P, Genial.ly oder Escape Room Maker kann diesen Prozess zwar erleichtern, dennoch bleibt der Aufwand groß.
Auch die Gruppendynamik ist ein Faktor, der den Erfolg von Escape Games beeinflussen kann. In einer rein kooperativen Umgebung fällt es den Teilnehmenden manchmal schwer, den richtigen Teamgeist zu entwickeln. „Wir haben Teams noch nicht direkt gegeneinander antreten lassen, aber ein gewisser Wettbewerb zwischen Gruppen ist oft vorhanden. Sie wollen schneller sein und das spornt an,“ erklärt Lutzeyer. Diese natürliche Konkurrenz kann dabei helfen, die Motivation und das Engagement zu steigern.
Fazit: Escape Games – ein Bildungsansatz mit Potenzial und Hürden
Escape Games bieten Schulen und Universitäten ein spannendes Format, um Wissen praxisnah und interaktiv zu vermitteln. Durch den Einsatz digitaler Technologien und kreativer Storytelling-Methoden können Lehrkräfte das Engagement und die Teamfähigkeiten ihrer Lernenden steigern. Die Beispiele der Ruhr-Universität Bochum zeigen, wie wertvoll der Einsatz von Escape Games in der Bildung sein kann und dass die Förderung von Kompetenzen im Vordergrund steht. Die Hürden – wie der hohe Aufwand, das Einarbeiten in Tools und die gestiegenen Ansprüche an einen modernen Look – sind nicht zu unterschätzen. Mit der richtigen Vorbereitung können Escape Games das Lernen und die Wissensvermittlung unterstützten – das Feedback der Schüler und Studenten spricht dafür: Wir möchten mehr davon! Nun sind die Lehrenden an der Reihe, sich fortzubilden, voneinander zu lernen und Netzwerke zu bilden, um die technischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen.
Die Bilder in diesem Beitrag sind von unsplash.com bzw. den Webseiten der genannten Beispielen. Das Bild von Martina Rüter stammt von Laura Hecker, das Bild von Immanuel Lutzeyer stammt von Katja Marquardt.